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Zum 4.12.2000                                       hps 60

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Ihre Vorbereitungen für heute waren ja streng geheim. Insofern feiere nicht ich, sondern Sie feiern meinen 60. Geburtstag. Als passiv Beteiligter fühle ich mich gefeiert. Dafür danke ich allen Aktiven - wenn ich es trotz strengster Geheimhaltung halbwegs richtig einschätze - vor allem meinem Alumnus Frank Kursawe, meinen beiden Frauen zu Hause und im Sekretariat und einem Heer von weiteren Helfern.

Auch ohne Indiskretionen Ihrerseits und ohne Spionage meinerseits habe ich antizipiert, dass heute Reden geredet werden und dass ich folglich auch kurz das Wort ergreifen darf. Also habe ich mich etwas präpariert, insbesondere auf die bohrende Frage, welchen guten Rat ich wohl Jüngeren mit auf ihren Lebensweg geben könne.

Nun denn dann also heute hier dazu:

Liebe Freunde und Bekanntinnen, Alumnae, Diadochen und Noch-nicht-Ehemalige <habe ich jetzt Alle erfasst ?; na, zur Sicherheit:> und Sonstige!

60 Jahre? Ist das viel oder wenig?

Damit Sie nicht denken, dass ich unwissenschaftlich argumentiere, zitiere ich dazu aus Nature, Band 408, Seite 269, Ausgabe vom 9.11.2000:

Humans had a life expectancy at birth of 30 years or less for more than 99.9% of the time that we have inhabited this planet.

Also bin ich ein vom Sensenmann übersehener Methusalem. Im gleichen Heft auf Seite 268 steht aber auch:

The human life span has remained unchanged for the past 100000 years at about 125 years.

Danach stünde ich kurz vor meiner Midlife Crisis. Sind Sie nun auch verwirrt? Dann beachten Sie, dass im ersten Fall von einem Mittelwert, der Lebenserwartung bei Geburt, im zweiten Fall von Lebensspanne, also dem jemals erreichten Maximum an Lebensdauer die Rede war.

Das dritte Zitat aus eben derselben Quelle rückt Alles zurecht:

What has changed, is life expectancy at birth, which has increased in the US and other developed countries from about 49 years in 1900 to about 76 years in 1997 and is projected to continue increasing.

Letzteres nützt mir nicht mehr, statistisch gesehen. Mit dem Geburtsjahr 1940 ergibt sich bei linearer Interpolation für mich als Erwartungswert für die restliche Lebensdauer eine Spanne von - raten Sie 'mal - nur noch knapp 49 Tagen - bei meiner Geburt! Ich muss mich also beeilen, wenn ich meinen Nachfahren noch einen ultimativen Rat für's Leben mit auf den Weg geben will - aus der berühmten jahrelangen alten Erfahrung. Er lautet schlicht:

Hören Sie nicht auf Ratschläge der Altvorderen!

Damit kann ich meine Ansprache ja nun beenden - leider mit einem Paradoxon ähnlich dem "Alle Kreter lügen" aus dem Munde eines Einwohners dieser hübschen griechischen Insel.

Sie wollen eine Begründung haben? Die kann ich geben:

  1. Ich bin mit meinem Leben bis heute sehr zufrieden.
  2. Sie sind auch der Meinung, ich hätte es zu etwas gebracht.
  3. Ich habe mir nie Rat geholt bei meinen Altvorderen, und den, den sie mir ungefragt gegeben haben, habe ich nicht befolgt.

Ergo: siehe oben - falls es einen kausalen Zusammenhang zwischen Tun bzw. Lassen einerseits und Erfolg oder Misserfolg andererseits gibt und falls ich nicht doch noch besser d'ran wäre, wenn ich die Ratschläge befolgt hätte. Vielleicht liegt ja nur ein lokales, aber nicht das globale Optimum vor. Zweifel über Zweifel. Und noch eins: Habe ich denn das erreicht, was ich ursprünglich erreichen wollte? Hier muss ich ein mehrfaches klares `Nein' konstatieren.

Lassen Sie mich nun im Rahmen eines kleinen Gedankenexperiments in die Fußstapfen des Althistorikers Alexander Demandt steigen. Dieser schrieb 1984 ein nettes Büchlein:

Ungeschehene Geschichte, Ein Traktat über die Frage "Was wäre geschehen, wenn...?", Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Ich behandele im Folgenden 8 Fallbeispiele.

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Fall A:

Gemäß Familientradition, nach der Akademiker Medizin studierten - und selbst mein Bruder als Soziologe landete bei der Weltgesundheitsorganisation - lag ich mit meinem Hang zur Technik voll daneben. Hätte ich es einem Vetter nachgemacht, so hätte ich schon vor 10 Jahren meine Arztpraxis dicht gemacht, Hebräisch gelernt und würde kreuz und quer durch den Vorderen Orient reisen. Wäre das ein bemitleidenswertes Leben? Doch wohl nicht.

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Fall B:

Hätte ich auf meine Lehrer im Gymnasium gehört, so wäre ich in einen Orden eingetreten und als Missionar, vielleicht nach Afrika oder Südostasien, geschickt worden - auch keine schlechte Perspektive. Aber statt an Exerzitien im Klassenverband teilzunehmen, bat ich beim Schulrektor um Dispens, um an den Wettkämpfen der Pfadfinder um den St. Georgsschild teilzunehmen.

Hierzu gibt's die erste Folie - aus dem Jahre 1957.




Sie sehen mich als Kornett der Sippe Eichhörnchen vom Stamm `Anselm von Havelberg' mit selbstgebasteltem Fähnchen beim Marsch durch den Westerwald. Am Ende der Schlange marschiert Claus, der ältere Bruder meiner Lebensdauergefährtin, die damals 13 Jahre jung war. Was hätte bei dem Talent aus mir alles noch werden können? Truppführer (das wurde ich noch), Stammesführer, ...General. Hochdekoriert gab ich die Pfadfinderei aber auf, als ich zu studieren begann. Übrigens habe ich mich nie um Führungspositionen bemüht. Ich wurde stets hineingedrängt.

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Fall C:

Dabei wollte ich gar nicht studieren! Ich wollte Raumfahrer werden. Meiner Freundin - wo ist sie? - versprach ich, sie mit auf den Mond zu nehmen. Und das kam so. Next slide, please:




Ich war 16, als Sputnik I, der erste künstliche Satellit, am 4.10.1957 lospiepste. Die westliche Welt war so geschockt, dass die Presse erst zwei Tage später die ersten Meldungen brachte.




Fortan wollte ich jedenfalls zu den Sternen. Das Bild stammt übrigens von der Weltausstellung 1958 in Brüssel, zu der ich von Berlin aus im Bus mit Mutter und Bruder reisen durfte - dank einer Spende meines predigenden Großvaters.

Da man auch 1959, als ich das Abi in der Tasche hatte, nur erst Luft- und noch nicht Raum-Fahrzeugführer werden konnte, bewarb ich mich bei der Bremer Flugschule der Deutschen Lufthansa, bestand die Aufnahmetests und hätte ein Jahr später mit der Ausbildung anfangen sollen. Da lehnte ich aber dankend ab und hatte vielleicht schon wieder eine tolle Chance vertan. Mein späterer Schwager, ehemals Hilfskornett der Eichhörnchen, wurde Flugingenieur bei der Lufthansa, hat nach eigenen Angaben lange Zeit soviel Steuern gezahlt wie ich verdiente und ist ebenfalls schon lange ausgemustert und im Ruhestand.

Warum lehnte ich ab? Inzwischen machte mir das Studium so viel Spaß, dass ich nicht mehr Raumfahrer, sondern Raketen- und Raumschiffbauer werden wollte. Das gab's als Studienrichtung allerdings noch nicht, aber Flugtechnik konnte man in Aachen, ein Jahr darauf auch in Berlin studieren, und bis zum Vordiplom war die Ausbildung aller Diplom-Ingenieure damals, zum WS 1959/60, praktisch gleich.

In Berlin durfte man nicht einmal Segelfliegen. Also musste ich zur Wasserkuppe, um später, 1964, das Metier zu erlernen. Der `VoPo' hinter'm Berg auf der Postkarte gehörte zur Standardausstattung des damaligen `Kalten Krieges' knapp 20 Jahre nach dem warmen.







Mit Raketen bekam ich es bereits 1962 im Fachpraktikum bei Bölkow in Neubiberg zu tun, genauer gesagt mit den späteren H2/O2-Steuerraketen für die Ariane. Da ich das Rätsel löste, warum die Diplom-Ingenieure aus ihren Meßdaten stets Wirkungsgrade von mehr als 100% errechneten, wurde ich vom Praktikanten mit DM 120.- Monatssalär zum Werkstudenten mit DM 600.- pro Monat befördert - einem damals fürstlichen Lohn.

Gleich schon 1959 wurde ich Mitglied der DGRR - Deutsche Gesellschaft für Raketentechnik und Raumfahrtforschung, und ich besorgte mir sofort die (Dr. phil.-) Dissertation von Wernher von Braun `Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu den Problemen der Flüssigkeitsrakete', Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1934, DM 9.60 für Mitglieder, 48 Seiten. Hier sehen Sie mich in der 3. Reihe rechts außen während der Jahrestagung der DGRR im Mai 1960 in Heidelberg,







mitten unter den Koryphäen Hermann Oberth, Wernher von Braun, Eugen Sänger und Frau Irene Sänger-Bredt (Bildmitte), Prof. Sedov aus Moskau u.a. Mein 2. Semester hatte gerade begonnen.

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Fall D:

Der Vater meines besten Schulfreundes brauchte lange, um mich nebst seinem Sohn zu überreden, wenigstens probeweise Mitglied in seiner Studentenverbindung zu werden - Borusso-Saxonia, keine schlagende, aber doch eine farbentragende Verbindung




Was hätte aus mir werden können mit den garantiert guten Beziehungen zu den Alten Herren? Ich stieg nach dem Probesemester wieder aus. Ich durfte kein Semester verlieren - übrigens von mindestens 10 damals mit zusammen mehr als 300 SWS plus 52 Wochen Praktikum plus humanistischem Studium mit vier Prüfungen. Versuche, das Praktikum in der schwedischen oder englischen Luftfahrtindustrie zu absolvieren, scheiterten kläglich am damals noch generellen Ausschluss Deutscher (20 Jahre zuvor ja noch Kriegsverbrecher). Erst der Jugendaustauschvertrag zwischen Adenauer und De Gaulle gab mir die Chance, in Frankreich bei einer Firma für Hubschrauber-Strahltriebwerke einen Monat zu praktizieren - nicht weit von Biarritz!

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Fall E:

Während ich im Hauptstudium war (ich konnte mich für alles Neue begeistern: Regelkreislehre, der späteren Kybernetik, Kommunikationstechnik, Kerntechnik, Bionik), wurden Hans-Heinrich Koelle von der NASA und Eugen Sänger aus Stuttgart als Professoren an die TU Berlin berufen, um die Fachgebiete Raumfahrt und Systemtechnik innerhalb des Studiengangs Flugtechnik aufzubauen. Als erster Assistent Eugen Sängers wollte ich mit ihm den sog. Raumgleiter weiterentwickeln -




und natürlich später damit auch von Planet zu Planet hüpfen. Leider starb er - noch bevor ich im November 1965 mein Diplomzeugnis erhielt.

Dafür bekam ich eine Vorladung vom Prof. für Strömungstechnik - Rücksprache wegen der Klausur II. Er wollte aber nicht Böses, sondern nur wissen, warum die anderen Studis so schlecht abschnitten. Und dann bot er mir eine HiWi-Stelle an - 90 Mark für 40 Stunden - ich war begeistert. Fortan durfte ich die Messtechnischen Übungen abhalten für Kommilitonen, die alle älter waren als ich. Damals lernte ich Ingo Rechenberg kennen. Der war etwas älter als ich, aber wir erwarben dann gleichzeitig das Diplom für Ingenieure der Flugtechnik und bekamen beide einen Preis des VDI als Beste des Jahrgangs 1965.

Die ersten Windkanal-Experimente mit der Evolutionsstrategie hatten wir gemeinsam bereits 1964 durchgeführt (das Foto zeigt Rechenberg am umgedrehten Tragflügelmodell und mich winkend vor den Messinstrumenten),




die ersten Computer-Simulationen waren Teil meiner Diplomarbeit (Zuse Z 23, nächtens programmiert im Freiburger Code per Lochstreifen-Eingabe und Fernschreiber-Ausgabe, aufgestellt in der Maschinenhalle des Instituts für Mechanik, weil die Mathematiker damals solche Maschinen noch nicht haben wollten - tagsüber kamen nur echte WiMis an die Maschine heran).

Unser beider Prof. für Strömungstechnik war anfangs auch sehr stolz auf uns. Wir wurden sogar auserkoren, die erste gemeinsame Jahrestagung der WGL (Wissenschaftliche Gesellschaft für Luftfahrtforschung) und der DGRR 1964 zu organisieren - in der von den USA geschenkten Kongresshalle Berlin, der sog. schwangeren Auster, die später ohne Fremdeinwirkung zusammenbrach. In der ersten Reihe sehen Sie als Zweiten von rechts den damals Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, den wir um ein Grußwort zur Eröffnung gebeten hatten.







Dass wir für die Plenarvorträge die Creme de la Creme der deutschen Kybernetiker einluden, brachte ihm und dann uns aber Minuspunkte ein, ebenso wie ein Spiegel-Artikel `Zickzack nach Darwin', den insbesondere Operations Researcher und Regelungstechniker ablehnten mit der Begründung "Wir haben die optimalen Optimiermethoden - LP und Gradientenstrategie - und brauchen keine anderen, vor allem nicht so dumme wie eine gewisse `Evolutionsstrategie'".

Daraufhin sollten wir uns umorientieren und `richtige' Forschungsaufgaben am Institut übernehmen. Rechenberg zeigte sich renitent und bekam die Kündigung, ebenso der Dritte in unserem Bunde, Peter Bienert. Mir stellte der Prof. erst noch die Stelle eines Oberassistenten in Aussicht, wenn ich den Evolutionsstrategien abschwören und mich von Rechenberg trennen würde.

Hätte ich nachgegeben, wäre ich vermutlich schon 1972 Prof. für turbulente Grenzschichten oder dergl. geworden und später vielleicht Chef des DLR-Instituts für Turbulenzforschung. Damals wurden promovierte Assistenten quasi automatisch zu Professoren.

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Fall F:

Rechenberg zog sich in's elterliche (Dach-)kämmerlein zurück und bastelte an einer ersten Theorie der ersten Version einer einfachsten Evolutionsstrategie. Ich nannte diese später (1+1)-ES. Nach Relegation, Hochzeit und kurzer Arbeitslosigkeit - nein nur Entgeltlosigkeit - kam ich zum AEG-Forschungsinstitut, zum Projekt MHD-Staustrahlrohr (MHD = Magnetohydrodynamik), einem geplanten Energiewandler für Raumstationen. Die als gelungen kritisierten Düsenoptimierungsexperimente (ausgestellt bei den Luftfahrtschauen in Hannover und Paris, der Industrieausstellung Berlin und seit 1976 am Lehrgebiet Bionik und Evolutionstechnik der TU Berlin)




qualifizierten mich schon bald für den eher ungewollten Aufstieg in's Management, und so durfte ich in der Vorstandsetage von Borsig bei hochprozentigem `Kesselwasser' und dicken Havannas Verträge über 5-stellige DM-Beträge aushandeln für den sog. Großen Versuchsstand (das Foto zeigt ein Modell des ca. 20 Meter hohen Gebildes),




der mit 900 Grad heißem Alkalimetall betrieben werden sollte - und nach meiner Zeit im Rahmen eines der ersten SFB auch kurze Zeit betrieben wurde.

Ein Streit mit meinem Chef brachte mir dann ein Angebot des obersten Forschungsbosses der AEG ein, ein Institut für Robotik in Frankfurt zu begründen. Vielleicht wären dann die Japaner nicht die Ersten mit solchen Robotern (siehe nächstes Bild eines Fußball spielenden japanischen Roboters aus dem Jahre 2000) geworden. Wer weiß?




Oder ich wäre Fabrikdirektor oder Vorstandsmitglied geworden - ich wollte aber nicht. Ich wollte Evolutionsstrategien verbessern und anwenden. Das war 1970; ich wurde gerade erst 30 und zog es vor, wieder WIMPI an der TU Berlin zu werden - WIMPI hieß wiss. Mitarbeiter mit Privatdienstvertrag bzw. `Privatsklave' - bei einem Biologen und einem Mess- und Regelungstechniker, die blindlings unsere selbstformulierten Forschungsanträge mit ihrem Namen unterschrieben und uns als ihre Mitarbeiter daraus bezahlten.

Rechenberg war noch nicht Prof., sondern ebenso WIMPI wie ich bei den zwei der Evolutionsstrategie wohlgesonnenen Profs. Er wurde erst 1971 promoviert -




bei der Feier malt FORO II bei ausgeschalteter Selektion Ölgemälde - rein mutativ. Dieser FORO war die zweite Version unseres Forschungsroboters a la `kybernetische Evolution', gebaut von Peter Bienert. Mein selbstgewähltes Forschungsthema, DFG-finanziert von 1971 bis 1975, lautete `Evolutionsstrategie für die numerische Optimierung'- angreifbar und bis heute angegriffen am liebsten von Operations Researchern und Regelungstechnikern.

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Fall G, der vorletzte.

Nach der Promotion 1974/75 wollte ich etwas ganz Neues anfangen, auf keinen Fall an einer Uni, z.B. im Bereich der damals brandneuen Biotechnologie. Eine Ausschreibung der Großforschungseinrichtung GBF in Braunschweig konnte eigentlich für keinen zweiten Bewerber außer mir passen. Ich schickte meine Bewerbungsunterlagen incl. Dissertation, habe sie aber bis heute noch nicht zurück. Nur der Verfassungsschutz kennt die genaue Begründung, warum ich die Stelle nicht bekam.

Meine Frau glaubt zu wissen warum: Sie war damals `Aktivistin' bei der Berliner Fraueninitiative, die z.B. vom Ex-Kanzler Kiesinger öffentlich forderte, Kinder in Krankenhäusern täglich besuchen zu dürfen und sog. - damals natürlich antiautoritäre - Eltern-Kind-Gruppen zu fördern. Im nahezu hysterischen Westdeutschland kam daraufhin nur noch das eher laxe Bundesland NRW als Beschäftigungsort für mich in Frage.

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Fall H:

Da ich interessehalber auch in Kreisen der Berliner Futurologen an der FU (Flechtheim, Deutsch, Kreibich u.a.) verkehrte, suchte ich dann einen einschlägigen Job und fand ihn in der Kernforschungsanlage (KFA) Jülich, in der Programmgruppe für Systemforschung und Technologische Entwicklung. Hier ging es meiner Familie und mir so richtig gut: Erstmals hatte ich 1980 - mit fast 40 Jahren - einen unbefristeten Arbeitsvertrag, und wir machten Urlaub: 6 Wochen am Stück - mit einem Döschewo durch Norwegen bis zum Nordkap und durch Finnland zurück inclusive 2 Wochen in einer einsamen Hütte mit Sauna und Boot am Saimaa-See. Erkennen Sie den? Der durfte sich damals u.a. mit theoretischer Volkswirtschaft und Spieltheorie befassen, was für ein Spaß. Das hätte ich durchaus weiter treiben können und mögen.




Aber auch hier sollte ich schon bald wieder mehr managen; auch hier verkrachte ich mich mit meinem Chef. Aber `meine' Abteilung REPLAN `Rechnergestützte Planungsmethoden', hielt zu mir.




Vier der Fotografierten sind heute hier. Vergeblich erwartete man von mir, den durch eine Software-Hintertür DAIMOS/OASIS/IRECA eingeschleusten Evolutionsstrategien den Rücken zu kehren. Auch eine Incentive-Reise zum LP-Papst George Dantzig in Stanford änderte nichts daran.

Bei braver Anwendung der Linearen Programmierung zum Zwecke der Begründung, warum man überall Kernkraftwerke braucht, hätte ich viele schöne Reisen in exotische Entwicklungsländer machen dürfen.

Als mein Chef wegberufen wurde, hätte ich sogar sein Nachfolger werden können. Wiederum wollte ich nicht. Ich hatte gelernt, dass die Ergebnisse unserer Systemanalysen `von oben' vorgegeben wurden. Es ging nur um Computer-gestützte Begründungen, um subjektive Meinungen besser zu vermarkten. Selbst Vorzeichenfehler in Programmen durften nicht eliminiert werden, weil ja sonst `falsche' Ergebnisse die Folge wären. Ich war nahe daran, depressiv zu werden.

Da nahm ich mir vor, doch wieder an eine Uni zu gehen und den Studenten zu erzählen, wie man Systemanalyse NICHT betreiben sollte.

Die Techniken der Systemanalyse in Entscheidungsgremien einer Universität oder in sog. Strukturkommissionen hineinzutragen, ist mir aber auch später nicht gelungen. Überall herrscht Angst vor überraschenden Resultaten von systematischen Analysen, die womöglich nicht erwünscht sind. Beobachten Sie sich einmal selbst beim Entscheiden zum Kauf eines neuen Autos - falls Sie etwas Selbstdisziplin aufbringen!

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Was lehren die 8 Fallbeispiele aus meinem Leben?

  1. kommt es oft anders als man denkt - und will;
  2. muss das im Nachhinein nicht schlecht sein;
  3. deshalb nochmals mein Rat in anderer Diktion: Immer der eigenen Nase nach!

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Nachwort

"Wie alt ist ein 60-Jähriger?" fragt US-Autor Charles Handy in einer soziologischen Analyse neuesten Datums. Seine kluge Antwort lautet: "Kommt d'rauf an". Das wussten Briten schon früher, nur haben sie es netter ausgedrückt:

Age is a matter of mind - if you don't mind, it doesn't matter.

Ich bin jetzt alt. Ich habe mir vorgenommen, mich nicht dagegen aufzulehnen, zumal ich den evolutionären Sinn einer endlichen Lebensspanne verstanden und verinnerlicht habe: Leben ohne Tod ist nicht möglich, Leben ist ein andauerndes Experiment, und die Mehrzahl der Experimente geht schief. Vielmehr nehme ich mir vor - die Schriftstellerin Doris Lessing zitierend - allmählich davonzuschweben und der Welt mehr und mehr zuzusehen wie einer großen Komödie. Wir alle lachen viel zu selten. Dabei gibt es so viel zu lachen - über Andere und auch über uns selbst. Wenn wir nicht so eitel wären, könnten wir so viel mehr Spaß miteinander haben.

Und noch ein Spruch, den ich für alle Neugierigen und gegen deren Angstgegner parat habe:

Wo kämen wir hin, wenn Alle sagten "Wo kämen wir hin?" und Keiner ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge?

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